April 2024
Der wohl repräsentativste Ort Israel wie es leibt und lebt zu erleben ist beim Friseur. Die Jungs besuchen ihn etwa alle drei bis vier Monate, die Mädchen ein bis zweimal im Jahr. Par Terre im Nachbargebäude befindet sich sein Geschäft. Bequem gehen die Kinder selbständig dahin. Aber es ist durchaus ein Erlebnis wert, mitzugehen und einfach Teil des Geschehens zu sein.
Ein erwachsener Mann gönnt sich einen Haarschnitt. In dem eher engen Raum befindet sich ein Sofa und zwei Stühle, darauf sitzt eine Mutter mit ihrem Sohn. Irgendwo schwirrt noch eine Hilfskraft umher. Ich komme mit vier Kindern dazu, denn mit oder ohne Termin, jeder ist gerne bei unserem Friseur des Vertrauens. Die Frau ist mit dem Gast und dem Friseur bereits in ein Gespräch verwickelt. Kaum sitze ich, bin ich gewollt oder ungewollt mittendrin. Die Hilfskraft findet auch immer wieder einen passenden Kommentar. Inzwischen ist der Gast mit dem neuen Haarschnitt zufrieden und steht auf. Flink setzt sich der Junge auf den Stuhl. Ungefragt nimmt sich der erste Gast einen der bereit stehenden Rasierer, geht damit an einen anderen Spiegel und richtet seinen dichten Bart noch etwas her. Meine jüngere Tochter bekommt eine Bürste in die Hand gedrückt. Sie kam als Zuschauerin. Aber die Haare lassen sich mit einer Bürste des Friseurs des Vertrauens gleich viel besser bürsten. Und wenn sie sie nicht in die Hand gedrückt bekommt, fragt sie danach. Wir fünf Erwachsenen immer noch im Gespräch. Die Hilfskraft hat alle Hände voll zu tun. Nicht ganz offensichtlich mit was, aber er wirkt trotz Anwesenheit im Gespräch beschäftigt. So nimmt der inzwischen frisch rasierte Gast den bereit stehenden Besen und die Schaufel, entsorgt seine Haare gerade selbst. Auch der Junge ist fertig, die Mutter und ich beenden unsere interessannte Unterhaltung und einer meiner Jungs findet Platz auf dem Stuhl mit dem grossen Kissen als Sitzerhöhung. Nun sind wir einen Moment alleine. Während die Hilfskraft Fenster putzt, nehme ich rasch Besen und Schaufel, wische das Gröbste zusammen, entsorge es. Es geht alles Hand in Hand. Rasierer wurde gereinigt, jeder macht, ohne dass wir uns gegenseitig in die Quere gekommen wären oder Kompetenzen überschritten wurden. Man ist eben Zuhause hier. Zum Schluss gibt es acht Kinderaugen die unseren Friseur erwartungsvoll anschauen. Denn wenn auch nur zwei bezahlende Gäste zu bedienen waren, so geht in Israel ein Kind niemals leer aus. Lolipop für alle also. Bei mir ist die Situation einmal mehr folgende: die Kreditkarte hat mein Mann mitgenommen der spontan aus dem Haus musste. Kein Problem für unseren Friseur. Denn längst sind wir auch seine Gäste des Vertrauens. Mein Mann bezahlt einfach wenn er nach Hause kommt. Oder morgen. Oder übermorgen…
Selbstverständlich erfüllt unser Friseur des Vertrauens auch das Klischee der Mund-zu-Mund Propaganda. So wählten wir ganz bewusst den Zeitpunkt, ihn zu informieren bezüglich unserer Visageschichte. Zuverlässig wusste unser Quartier etwas später Bescheid. Wir ersparten uns viele WhatsApp, viele Erklärungen, durften aber erleben wie wir tatsächlich so unglaublich viele liebevollen Feedbacks aus der Nachbarschaft erhalten haben. Es ist eben keiner wie unser Friseur des Vertrauens.